Neubeginn

Strecke

Im Jahre 2007 feierte die Gemeinde Lieskau am nordwestlichen Stadtrand von Halle(Saale) ihr 825-jähriges Bestehen. Im Rahmen der Vorbereitungen zu diesem Jubiläum entstand die Idee, die ehemalige Halle-Hettstedter Eisenbahn (HHE), die unmittelbar nach dem Passieren der Stadtgrenze zum Saalekreis hin Lieskau erreicht, zu reaktivieren. Zuvor waren 2002 letzte Streckenabschnitte stillgelegt worden.

Im Februar 2007 wurde der Verein Freunde der Halle-Hettstedter Eisenbahn e.V.  im Kirchgemeindehaus in Lieskau mit dem Ziel gegründet, Streckenabschnitte etappenweise für einen Museums- und Ausflugsverkehr im Rahmen einer Kulturraumvernetzung zu reaktivieren. Zu den Gründungsmitgliedern zählt der frühere Leipziger Thomaskantor Prof. Hans Joachim Rotzsch.

Der Verein wurde 2007 Mitglied im Deutschen Bahnkundenverband e.V. und trat an die Deutsche Regionaleisenbahn (DRE) GmbH heran, als Infrastrukturbetreiber tätig zu werden. Zur gleichen Zeit wurde der Verein Mitglied der Lokalen Aktionsgruppe Unteres Saaletal und Petersberg der europäischen Förderinitiative Leader. Diese Förderinitiative unterstützt Projekte zur Stärkung des ländlichen Raumes.

Im April 2008 beantragte die DRE GmbH die Betriebsgenehmigung nach § 6 AEG beim Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt und erhielt diese im September 2008 zum Betreiben der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur Halle-Nietleben – Hettstedt bis zum Jahre 2058. Daraufhin begann der Verein innerhalb eines Vertrages zwischen der Deutschen Bahn AG und der DRE GmbH mit Grünschnittarbeiten zwischen Halle-Nietleben und Halle-Dölau.

Letzte Grünschnittarbeiten zwischen Nietleben und Heidebahnhof im März 2008, hier mit Unterstützung der Freiwilligen Feuerwehr Lieskau (c) Jörn-Uwe Zeug

In Gerbstedt wurde das erste Bahnhofsfest mit der Wiederaufstellung eines betriebsfähigen Wasserkrans, der seit langem nicht mehr vorhanden war,  begangen.

Wiederaufgestellter Wasserkran und Handhebel-Draisine vor dem vom HHE e.V. erworbenen Empfangsgebäude des Bf Gerbstedt am 13.09.2008 (c) Peter Strohmeyer

Der Verein hatte bereits in seiner Satzung verankert, die Strecke der ehemaligen HHE zu übernehmen, um Planungssicherheit für die nachhaltige Streckenentwicklung zu haben. Deshalb reichte er im September 2009 ein Kaufangebot an die Deutsche Bahn (Services Immobilien NL Leipzig). Diese  entschied sich aber im Januar 2010 für den Verkauf der gesamten Strecke an einen Schrottverwerter aus Görlitz, die ROP Roth AG, der das Ziel verfolgte, die Strecke zu beseitigen. Er begann im Februar 2010 mit vorbereitenden Arbeiten zum Streckenrückbau trotz der seit 1896 ununterbrochen bestehenden eisenbahnrechtlichen Widmung und der bestehenden Betriebsgenehmigung, Kraft derer die Strecke seit 2008 nicht mehr stillgelegt ist. Mit einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Görlitz konnten zunächst weitere versuchte Abbrucharbeiten des Schrottverwerters unterbunden werden.

Erst jetzt beantragte die DB Services Immobilien die Freistellung (Entwidmung) der Strecke von Eisenbahnbetriebszwecken nach § 23 AEG. Dieser Antrag wurde jedoch  2011 vom Eisenbahnbundesamt abgelehnt, damit bleibt die Widmung bestehen.

Bereits im Jahre 2009 hatte der Verein einen Antrag auf Überprüfung einer möglichen Denkmaleigenschaft der HHE beim Landesamt für Denkmalpflege gestellt. Als Ergebnis wurden im April 2010 sämtliche baulichen Anlagen der HHE unter Denkmalschutz gestellt. Im Rahmen einer vom Verein erbetenen Ausübung des Vorkaufsrechts an das Landesverwaltungsamt Referat Denkmalschutz wurde im Juni 2010 per Bescheid das Vorkaufsrecht zu Gunsten des Vereins für die Streckenabschnitte Halle-Nietleben-Fienstedt und Gerbstedt-Hettstedt ausgeübt. Dagegen klagte die DB Services Immobilien NL Leipzig leider erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht  Halle, welches den Bescheid 2011 wegen angeblicher Unzulänglichkeiten des Bescheides des Landesverwaltungsamtes in der Frage der Ermessensabwägung (warum sollen die betreffenden Streckenabschnitte an den Verein und nicht den Schrotthändler verkauft werden) aufhob. Damit wurde im August 2013 der Schrottverwerter Eigentümer der Eisenbahnstrecke. Zuvor hatte die DB Services Immobilien, NL Berlin, ein weiteres Kaufangebot des Vereins in der gleichen Betragshöhe (100.000 Euro), die der Schrottverwerter mit der Deutschen Bahn vereinbart hatte, abgelehnt. Trotzdem konnte der Verein u.a. verhindern, dass der Zugang zum Bahnsteig im Bf Halle-Dölau von Eisenbahnbetriebszwecken freigestellt wurde, eine Anschlussweiche an die HHE im Bf Hettstedt ausgebaut und der Bahnsteig in Richtung Hettstedt im Bf Halle-Nietleben abgetragen wurde.

2011 erwarb der Verein das Bahnhofsgebäude in Gerbstedt und setzte 2013 seine hauptuntersuchte V 22 zu Führerstandsmitfahrten auf dem zuvor instand gesetzten Gleis des Bf Gerbstedt im Rahmen des Bahnhofsfestes ein. Somit verkehrte erstmals nach 11 Jahren wieder eine Lokomotive auf den Gleisen der HHE.

Per Tieflader kam die HHE – V 22 nach Gerbstedt, hier am 24.08.2013 zum Bahnhofsfest (c) Ralph Lüderitz

Außerdem konnte der Verein 2012 einen Kohlenkran des ehemaligen Bw Halle-Klaustor vor der Verschrottung bewahren.

Kohlenkran kurz vor der Demontage (c) Olaf Raabe
                                   

Auf dem Streckenabschnitt Gerbstedt-Welfesholz wurde ein erster Gleisabschnitt durchgearbeitet und eine Brücke zu Sanierungsarbeiten ausgehoben.

Gleisinstandsetzung Bahnhofsausfahrt Gerbstedt in Richtung Welfesholz (c) Helmut Schrader
Ausheben der Brücke über die Mansfelder Straße in Gerbstedt im Juli 2014
                                                   (c) Uli Stecher

Mit der DRE schloss der Verein einen erweiterten Kooperationsvertrag ab, der das Projekt Bürgerbahn beinhaltete. Neben einem saisonalen Ausflugs- und bahnhistorischen Verkehr wird perspektivisch ein öffentlicher Schienenpersonennahverkehr angestrebt.

Nachdem der Schrottverwerter Eigentümer der Strecke geworden war, reichte er eine Flut von Klagen gegen den Verein, den Streckenbetreiber, das Landesamt für Denkmalpflege und das Land Sachsen-Anhalt ein.

Im September 2014 wurde er bei Abbrucharbeiten des Streckenabschnittes Welfesholz-Hettstedt ertappt. Hier hatte er bereits 558 m Schienen der Verschrottung zugeführt und Gleise auf einer Länge von 2,2 km alle 5 m durchtrennt.

Illegale Abbrucharbeiten der ROP Roth AG im September 2014
                                          (c) Helmut Schrader

Auch hier kommt es zu einem Gerichtsprozess, dessen Endurteil dem Schrottverwerter den Rückbau von Gleisen und sonstigen baulichen Anlagen verbietet.

Nachdem weitere Gerichtsverfahren, die der Schrottverwerter initiierte,  erstinstanzlich zu Gunsten der Streckenreaktivierung seitens der Gerichte entschieden wurden, begann der Verein mit Streckeninstandsetzungsarbeiten zwischen dem Heidebahnhof und dem Bf Halle-Dölau.

Gleisinstandsetzung im Bf Halle-Heidebahnhof
(c) Uli Stecher

Es wurden Schienen und Schwellen gewechselt, Schotter gereinigt und erneuert, eine Vollschrankenanlage instand gesetzt und ein Bahnübergang von Grund auf überholt. Diese Arbeiten konnten im ausgehenden Sommer des Jahres 2016 abgeschlossen werden.

Schienenwechsel am km 6,7 in Halle-Dölau (c) Olaf Raabe

2015 kann der Verein ein schienengebundenes Baufahrzeug vom Typ SKL 25 übernehmen. Nach dessen Instandsetzung in der Vereinswerkstatt in Halle-Ammendorf erfolgt die Neubefristung im September 2016. Anschließend wird er mit Unterstützung der Pressnitztalbahn GmbH nach Halle-Dölau überführt, wo er zu Arbeitseinsätzen eingesetzt wird.

SKL 25 bei der Ankunft auf dem Tieflader während des Eingleisens  im Bf Halle-Dölau am 13.10.2016 (c) Olaf Raabe
   

Im ausgehenden Jahr 2016 ist der Streckenabschnitt Bf Halle-Heidebahnhof – Einfahrt Bf Halle-Dölau vom HHE e.V. fertig instand gesetzt. Eingebracht wurden 4.000 ehrenamtlich geleistete Stunden, investiert ca. 10.000 Euro. Anschließend wird die Betriebserlaubnis nach § 7f AEG (Allgemeines Eisenbahngesetz) beantragt und nach erfolgter Inspektion seitens der Landesbehörde erteilt.

Verkehrsminister Thomas Webel und Vereinsvorstand Olaf Raabe
wiedereröffnen den ersten Streckenabschnitt am 28. April 2017
(c) Rüdiger Pelikan

Am 28. April 2017 wird dieser erste Abschnitt in Anwesenheit von Verkehrsminister Thomas Webel feierlich eröffnet. An vier darauffolgenden Fahrtagen konnten nahezu 500 Besucher mit dem in der Vereinswerkstatt in Halle-Ammendorf instand gesetzten SKL 25 befördert werden.

Abfahrbereit nach Halle-Dölau (c) Ernst Zörner

Über den regionalen Rahmen hinaus konnte bereits 2008 dem damaligen Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre das Projekt Eisernes Band vorgestellt werden. Mehr dazu erfahren Sie hier.

Bereits seit Ende 2016 wurden die Gleisbauarbeiten in Richtung Halle-Nietleben fortgesetzt, um künftig mit der Nutzung des Außenbahnsteigs Traditionsbahn (ehem. Inselbahnsteig) im Bf Halle-Nietleben die kurze Umsteigebeziehung zur Halleschen S-Bahn anzustreben.

Im März 2018 wurden die Bauarbeiten allerdings durch ein Urteil des OLG Dresden unterbrochen, welches ein Betretungsverbot für die Grundstücke der Eisenbahnstrecke aussprach. Geklagt hatte wiederum der Schrottverwerter ROP Roth AG aus Görlitz. Begründet wurde dies mit einer fehlenden zivilrechtlichen Nutzungsbefugnis seitens des Betreibers. Gegen dieses Urteil wurde eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingereicht, die im März 2019 angenommen wurde.

Fast zur gleichen Zeit wurde im Auftrag des Schrottverwerters ROP Roth die zu Konservierungsarbeiten ausgehobene Brücke über die Mansfelder Straße in Gerbstedt zerschnitten. Es fehlte nur noch ein Deckanstrich, der Wiedereinbau war für 2018 geplant. Auch hier gibt es wieder gerichtliche Auseinandersetzungen, die noch nicht abgeschlossen sind.

Im Frühjahr 2020 erwarb der HHE e.V. das Grundstück des Bahnhof Lieskau. Ziel sind die Wiederherstellung der Gleisanlagen und der Wiederaufbau des in den 1980-er Jahren abgerissenen Bahnhofsgebäudes. Hier soll das künftige Museum der HHE entstehen.

In diesem Zustand präsentiert sich das Bahnhofsgrundstück in Lieskau am 28.03.2020, in der Mitte die gepflasterte Ladestraße, rechts davon die zweigleisige Trasse mit dem dahinter liegenden Bahnsteig. (c) Olaf Raabe

Im Winter 2019/2020 wurde in einem ersten Arbeitsschritt die Ladestraße im Bf Lieskau von Bewuchs freigeschnitten. Anschließend musste ein in den 1990-er Jahren auf ihr aufgeschütteter Erdwall auf einer Länge von 200 m abgetragen werden.

Ca. 300 t aufgeschüttete Erde werden von der Ladestraße abgetragen (c) Olaf Raabe

Im darauffolgenden Sommer erfolgte die Zwischenlagerung von 1500 von der Bahnbaugruppe zum Wiedereinbau übernommenen Betonschwellen.

Die ersten angelieferten Schwellen werden im Mai 2020 abgeladen (c) Rainer Schmidt
Zwei Wochen später ist der größte Teil der Schwellen bereits zwischengelagert (c) Olaf Raabe

Am 19. Juni 2020 hob der Bundesgerichtshof das Dresdner Urteil vom März 2018 auf und untersagte den Rückbau der Gleisanlagen und Kunstbauten. Damit ist der Schrottverwerter ROP Roth AG aus Görlitz in sämtlichen seit 2013 geführten Gerichtsverfahren unterlegen.

Nachdem ein Jahr zuvor die Ladestraße freigeschnitten wurde, erfolgte im Februar 2021 die Wegnahme der Gehölze auf einer Trassenlänge von 400 m. Vor der erteilten Genehmigung durch die Untere Naturschutzbehörde musste der Verein ein Gutachten zur Eingriffs- und Ausgleichsbilanzierung vorlegen. Als Ausgleichsfläche wird in Zusammenarbeit mit dem Naturschutzbund (Nabu) eine alte Kirschstreuobstwiese auf einer Fläche von ca. 1 Hektar entbuscht und zukünftig gepflegt.

Vor Beginn der Rückschnittarbeiten im Trassen- und Bahnsteigbereich am 10.02.2021, links die ein Jahr zuvor gelagerten Betonschwellen (c) Olaf Raabe
Bei Temperaturen um -12 Grad und einer Schneehöhe von ca. 40 cm wir die erste Schneise quer zur Trasse geschlagen. Die waagerechte Linie unterhalb der Bildmitte ist die Bahnsteigkante. (c) Olaf Raabe
Zunächst wird die Gleistrasse freigeschnitten, am 15.02.2021 sind wir am Ende der Bahnsteiggleise auf der freien Strecke angekommen (c) Olaf Raabe
Drei Tage später ist die Trasse bereits wieder erkennbar. (c) Olaf Raabe
Anschließend beginnt die Freilegung des ca. 180 m langen Bahnsteigs. (c) Joachim Volkhardt
Bei nun nahezu 15 Grad und nur noch wenigen Schneeresten gibt es am 23.02.2021 die erste Pausenmahlzeit auf dem Bahnsteig. (c) Olaf Raabe
Am 28.02.2021 ist nun auch der Bahnsteig freigeschnitten, der Kilometerstein wieder sichtbar. Im Gleisbereich links wartet der Grünschnitt auf Abholung. (c) Olaf Raabe
Leider wurde der ca. 90 Jahre alte Kirschbaum 2015 entwurzelt. Die beiden Stämme erhält ein Holzbildhauer im Erzgebirge. (c) Olaf Raabe

Bis April 2022 wurde der Grünschnitt abtransportiert, insgesamt lag dessen Menge im Bereich des Bahnhofs bei 350 Qubikmetern.

Im Mai 2022 ist nun wieder die Bahnsteigkante zu erkennen. (c) Olaf Raabe

Ab Juni 2022 sollte mit der Schotterreinigung begonnen werden. Zuvor verlangt die Untere Naturschutzbehörde eine Untersuchung zu möglichen Populationen der Zauneidechse.